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Info 2018-2

Der EuGH und seine richtungsweisenden Urteile

Wie ja die einen oder anderen aus den anderen Medien, über unsere Internetoder auch unsere Facebook-Seite erfahren haben, hat der EuGH die Frage zu klären, ob Rufbereitschaft Arbeitszeit ist.

Am 21. Februar 2018 hatte der EuGH unter dem Aktenzeichen EuGH, 21.02.28, C­58.18518/15 zu entscheiden, ob Rufbereitschaft Arbeit ist? Hintergrund für dieses Verfahren war der Fall eines Feuerwehrmannes in Belgien. Dieser war verpflichtet, sich in einer Woche pro Monat abends und am Wochenende für Einsätze bereitzuhalten. Das hieß in der Praxis, dass er so schnell wie möglich - jedenfalls unter normalen Umständen - in höchstens 8 Minuten auf der Feuerwache sein muss. Dieses Problem kennen viele, die Rufbereitschaft haben; vielleicht nicht in der kurzen Zeit, aber das grundsätzliche Thema ist vielen Leserinnen und Lesern unserer "Kirchengewerkschaft Info" bekannt.

Den Feuerwehrmann störte es allerdings nicht, dass er innerhalb dieser kurzen Zeit da sein sollte, sondern es war eher die Frage, ob er diese Zeit bezahlt bekommt und ob diese Rufbereitschaft eine sog. aktive Zeit ist? Der Arbeitgeber, hier die Stadt Nivelles, sah es eher als einen Bereitstand, der für den Arbeitgeber nicht zu vergüten ist.

Der Kläger forderte eine Entschädigung für die Zeit (Zeit der "passiven" Rufbereitschaft).

In der ersten Instanz sah der Arbeitsgerichtshof Brüssel die Diskrepanz in der Arbeitszeitbegrifflichkeit und hat somit die Rechtsfrage an den EuGH weitergeleitet, um den Begriff der Arbeitszeit und dessen Auswirkung auf die etwaigen Vergütungsansprüche gemäß der Richtlinie 2003/88 auszulegen.

Dieses tat der EuGH dann auch in der Form, dass er der Auffassung war bzw. ist, dass auch passive Rufbereitschaft Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft ist. Die Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber zeitliche und/oder geografische Vorgaben macht, die den Arbeitnehmer während der „passiven“ Rufbereitschaft in seiner Freizeitgestaltung einschränkt.

Der EuGH war also der Auffassung, dass dieses auf jeden Fall in dem vorliegenden Rechtsstreit so gegeben ist, wenn der Arbeitnehmer verpflichtet ist, innerhalb von 8 Minuten am Arbeitsort zu sein und dieses zur Folge hat, dass er den Wohnort in der Nähe des Arbeitsortes wählen bzw. sich dort während der Rufbereitschaft aufhalten muss.

In der Gesamtheit hat also der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zur Abgrenzung von Arbeit und Ruhezeiten fortgesetzt.
Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinien liegt demnach immer dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um sofort die Arbeitsleistung aufbringen zu können.

Hierzu gibt es Entscheidungen des EuGH vom 03.10.2000 unter dem Aktenzeichen C 303/98 sowie vom 09.09.2003 unter dem Aktenzeichen C 151/02 und abschließend vom 01.12.2005 unter dem Aktenzeichen C 14/04.

Aufgrund dieser europäischen Entscheidung müssen nun alle Tarifverträge/Arbeitsrechtsregelungen noch einmal dahingehend kritisch geprüft werden.



Eine weitere Entscheidung hat der EuGH zum Thema Kirchenzugehörigkeit bei konfessionellen Arbeitgebern gesprochen.

Auch dies ist weit in der Presse, insbesondere in konfessionellen Medien diskutiert und besprochen worden. In der Quintessenz hat der EuGH festgestellt, dass kirchliche Arbeitgeber nicht bei jeder Stelle von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit fordern dürfen.

Es gibt rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer, die bei den beiden großen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden beschäftigt sind. Nach heutigem Recht und Auffassung müssen alle Mitglied ihrer oder derjenigen Kirche sein. So war es bisher und so wird es auch bleiben.
Zumindest offiziell sind konfessionslose oder anders gläubige Mitarbeiter die Ausnahme in diakonischen, caritativen Einrichtungen.
Schauen wir in die Tiefe, so werden wir feststellen, dass dies häufig realitätsfern ist.

Der Europäische Gerichtshof hat aber in seinem Urteil festgestellt, dass jeder Einzelfall geprüft werden muss. Dabei ist, so der EuGH, die Leitfrage zu klären, ob die ausgeschriebene Stelle zu dem Verkündigungsauftrag der Kirche gehört bzw. ob es hier einen klassischen Zusammenhang gibt?
Der EuGH hat es in seinem Urteil so formuliert, dass ein anderes Gericht hinsichtlich des Verkündigungsauftrages überprüfen muss, ob eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation" gegeben ist.

Somit hat der EuGH die daraus resultierenden Antidiskriminierungsrichtlinien der EU in ihrer Bedeutung noch einmal hervorgehoben.

Das bedeutet in der Praxis, dass wahrscheinlich zusätzlicher Aufwand bei kirchlichen Arbeitgebern getätigt werden muss bzw. eine konkretere Überprüfung ihrer Stellenanzeige bzw. eine extrem hohe Sorgfaltspflicht notwendig ist. Unter den vorgenannten Kriterien ist das Verfahren wieder zurückgegangen an das Bundesarbeitsgericht nach Erfurt, das der konfessionslosen Klägerin auf dieser Ebene die geforderten 10.000 Euro Schadensersatz zuspricht oder abspricht.

Hintergrund für diese Entscheidung war, dass die Evangelische Kirche, das evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung, eine Stelle ausgeschrieben hatte im Jahre 2012, die befristet war, auf die sich die Klägerin beworben hatte und nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Die Klägerin ging und geht davon aus, dass ihre Qualifikationen explizit für diese Stelle geeignet sind und sie zumindest für ein Vorstellungsgespräch in Frage gekommen wäre. Da sie zu ihrer Konfession keine Angaben machte und sie nicht eingeladen worden ist, hat sie somit dem Evangelischen Werk einen Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz vorgeworfen und einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht.

Das Bundesarbeitsgericht wird in den nächsten Wochen das Verfahren erneut wieder aufnehmen, so dass wir dann beizeiten an gleicher Stelle über das Ergebnis berichten werden.


__ Hubert Baalmann,
Gewerkschaftssekretär

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